Hallo,
das Originalfahrwerk der F800 S/ST ist für gute Rundenzeiten ungeeignet und auch wenn hier vermutlich einige widersprechen, halte ich es darüber hinaus für teilweise gefährlich. Beim Bremsen taucht die Gabel stark ein und gleichzeitig verhärtet sich die Druckstufe. Dadurch kann die F800 z.B. beim plötzlichen Bremsen in Schräglage sehr unruhig werden und neigt dann zu starkem Pendeln. Ich bin da einige Male ziemlich erschrocken. Das kann im Zweifelsfall entscheidende Meter kosten.
Dass die Gabelfedern zu weich sind, wurde hier ja schon hinlänglich diskutiert. Die F800 hat aber durch den einfachen Gabelaufbau auch ein Problem mit der Dämpfung. Im Gegensatz zu vielen Motorrädern, die einen Kartuschendämpfer in der Gabel haben, arbeitet die F800 mit einem einfachen Dämpferrohr. Hierbei wird das Öl sowohl bei der Zug-, als auch bei der Druckstufe durch feste Löcher gepresst. Fließt Öl durch eine Bohrung, steigt der Widerstand mit der Fließgeschwindigkeit quadratisch an. Das Öl staut sich quasi vor dem Loch und die Gabel verhärtet sich. Die Serienabstimmung stellt hierbei eine Kompromiss dar, wobei die Gabel beim langsamen Eintauchen (z.B. normalem Bremsen) stark unterdämpft, bei schnellem Eintauchen (z.B. Schlaglöcher) stark überdampft ist. Noch genauer könnt ihr das in den Links unten nachlesen.
Nachdem ich mich bereits weit über ein Jahr mit dem Fahrwerk meiner F800 beschäftigt habe, habe ich abschließend an einem Wochenende verschiedene Gabelkonfigurationen getestet und die Fahrwerkseinstellung auf meine Bedürfnisse abgestimmt.
Zunächst einmal zu meinem Anforderungsprofil:
Ich wiege 66 kg und fahre in der Regel alleine. Da ich häufig in den Alpen auf schlechten Straßen unterwegs bin, soll das Fahrwerk fein ansprechen und nicht bockig sein. Z.B. soll das Motorrad bei einem Loch in einer Kehre möglichst wenig versetzen und eine sauber Linie fahren. Darüber hinaus soll die F800 möglichst stabil liegen. U.a. soll die F800 beim Bremsen in Schräglage ruhig bleiben.
Zunächst habe ich das Federbein gegen ein White Power Emulsion Federbein mit hydraulischer Verstellung der Vorspannung ausgetauscht. Das Federbein ist meines Wissens 20% härter gefedert und entsprechend gedämpft. Das Ansprechverhalten ist extrem gut und jegliche Fahrbahngegebenheit wird sehr gut gemeistert. Die Verbesserung zum Original ist extrem und das Heck lässt sich kaum noch aus der Ruhe bringen. Durch das feine Ansprechen empfinde ich es trotz der größeren Härte sogar komfortabler als das Original.
Außerdem habe ich das Heck über das Federbein 3 mm angehoben und die Gabel 10 mm durchgesteckt. Damit hat die F800 an Handlichkeit gewonnen. Eventuell werde ich die Gabel wieder etwas verlängern, da das Heck beim Bremsen schnell leicht wird. Übrigens entspricht eine Federbeinverlängerung von 1 mm ziemlich genau 3 mm Höhenveränderung beim Heck und 10 mm kann man die Gabel noch durchstecken, ohne dass irgendetwas beim maximalen Eintauchen anschlägt.
Eine größere Herausforderung war das Finden einer passenden Gabelkonfiguration. Der erste Schritt waren progressiven White Power Federn mit 7.5W Gabelöl. Das Lustpolster habe ich wegen meines Gewichtes von 130 auf 140 mm erhöht. Diese Kombination war ein deutlicher Fortschritt und harmoniert schon sehr gut mit dem Federbein (immerhin wurde diese Kombination von WP und Schnitzer auf dem Nürburgring selektiert). Die Komforteinbuße bei der Gabel ist spürbar, aber für mich nicht störend. Auch bei einer Vollbremsung auf welliger Fahrbahn konnte ich die Gabel nicht mehr auf Block bringen. Das dünnere Öl verbessert das Ansprechverhalten spürbar und entspannt auch das Problem der Verhärtung der Druckstufe etwas. Zum Vergleich habe ich auch die weicheren progressiven Wilbers Federn getestet. Beim normalen Fahren ist der Komfortunterschied klein. Beim Bremsen tauchen die Gabel mit Wilbers Federn aber weiter ein. Die F800 wird dadurch beim Bremsen in Schräglage deutlich unruhiger und bei einer Vollbremsung auf welligem Untergrund habe ich die Wilbers Federn auf Block gebracht. Wilbers empfiehlt 10W Gabelöl, wodurch das Ansprechverhalten weniger sensibel ist. Im direkten Vergleich war für mich die WP Lösung eindeutig besser und verglichen mit den originalen Setup ein großer Fortschritt.
Trotzdem war ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Das 7.5W Öl verringert die ohnehin zu schwache Zugstufe nochmals. Außerdem zeigte die F800 beim Bremsen in Schräglage durch das Problem mit der Verhärtung der Druckstufe teilweise deutliches Pendeln. Irritierend ist, dass die F800 in dieser Konfiguration normalerweise sehr stabil liegt, aber ihr Verhalten sich schlagartig verschlechtert, sobald sich die Verhärtung der Gabeldämpfung bemerkbar macht. Das ist schwer einzuschätzen und deshalb gefährlich. Abhilfe schaffen hier Cartridge Emulatoren. Ich habe welche von Race Tech aus USA eingebaut. Die Zugstufe konnte ich nun mit 15W Öl optimal einstellen. Die Feder des Emulator Ventils für die Druckstufe habe ich mit 1,5 Umdrehungen relativ schwach vorgespannt. Dadurch bleibt die Gabel bei schlechten Straßenbedingungen sensibel.
Laut einem TÜV Experten für Eintragungen ist lediglich die Feder, nicht aber die Dämpfung relevant für die Betriebserlaubnis. Eine andere Ölviskosität ist z.B. problemlos möglich. Eine Eintragung der Cartridge Emulatoren ist laut TÜV nicht unbedingt nötig, aber wegen der Versicherung war mir mit Eintragung wohler. Der TÜV hat die Race Tech Cartridge Emulatoren nach Fahrversuch auch ohne Gutachten eingetragen.
Ich bin mit dem Gesamtergebnis super zufrieden. Die F800 lässt sich weder durch eine Vollbremsung auf welligem Belag, noch durch tiefe Bodenwellen oder Bremsen in Schräglage aus der Ruhe bringen. Das Gesamtpaket ist sehr vertrauenserweckend und hat deutliche Reserven, wenn es mal etwas zügiger gehen soll. Für mich der perfekte Kompromiss für deutlich mehr Fahrspaß und Sicherheit. Das Fahrverhalten kann nun locker mit hochwertigeren Maschinen mithalten.
Ich hoffe, durch diesen Praxisbericht die teilweise recht theoretischen Diskussionen ergänzen zu können und die eine oder andere Anregung vermitteln zu können.
Vielen Spaß mit der F800 und beim Experimentieren!
Gruß Holger
http://racetech.com/articles/CartridgeForks.htm
http://motorang.com/bucheli-projekt/cartridge_sportrider.pdf